Transformation: Wenn der Roman das Genre wechselt

Neulich wurde es mir wieder bewusst. Ich redete mit jemandem über meinen Roman, den ich gerade schreibe. „Was ist das für ein Roman?“, fragte dieser jemand. Und ich stammelte und stammelte und wusste nicht recht, was ich darauf antworten sollte. Denn die Genrebezeichnung, die ich bisher verwendet hatte, passte auf einmal nicht mehr. Während des Schreibens hatte sich meine Geschichte von einem Mystery-Gruselroman zu einem Thriller mit historischem Anteil gewandelt und ich weiß jetzt nicht mal mehr, ob ich meinen Roman am Schluss als Thriller bezeichnen kann. Immer wieder passiert mir das. Jedes Mal, wenn mich jemand fragt, kommt mir eine andere Antwort über die Lippen. Beim Schreiben scheine ich mich wohl zwischen den Genreelementen zu bewegen und am Schluss ist es dann eine Überraschung, die mich erwartet. Und alle Informierten drum herum auch. Aber warum passiert so etwas? Und ist das so schlimm?

Plotten oder nicht plotten, das ist hier die Frage

Woran es bei mir liegt, weiß ich zum Teil schon. Unter Schreibenden stellt sich immer wieder die Frage: Plotten oder nicht plotten? Manche sind heißblütige Verfechter verschiedener Strategien und Strukturen und zaubern damit in Windeseile eine Geschichte. Ob diese qualitativ hochwertig ist, bleibt im Auge des Betrachters. Allerdings ist der Erfolg solcher Strategien und Methoden unumstritten, sodass einige diese sogar fest zum Handwerk eines Autors zählen, das ein jeder beherrschen sollte.

Doch dann gibt es da auch solche wie mich. Die Freigeister, die sich nicht in ein solch starres Korsett zwängen lassen wollen oder schlichtweg nicht können. Die frei drauf losschreiben und die Geschichten sich wie von selbst entwickeln lassen. Wobei ich mich in den letzten Jahren auch sehr gewandelt habe. Immerhin mache ich mir einen groben Plan, was worauf folgen könnte. Jedoch kann ich auch keiner kompletten Plotstruktur für einen ganzen Roman folgen. Das behindert meinen kreativen Prozess während des Schreibens, da sich gerade da viele meiner knappen Ideen entfalten.

Von Gärtnern und Architekten

George R. R. Martin hat es einmal ganz gut in einem Bild zusammengefasst: Es gibt die Gärtner und die Architekten. Die Architekten plotten, legen alles genau fest, bevor auch nur ein Wort aufs Papier kommt. Natürlich ist das ein riesengroßer Vorteil. Man weiß vieles im Voraus, was in etwa dabei herauskommt. Man muss sich nicht erklären, falls aus dem Thriller ein Liebesroman wird. Und man kann viel früher und vor allem auch gezielter mit dem Marketing beginnen. Bleibt der Geschichte allerdings damit genug Raum, sich zu entfalten? Handelt man die Themen nicht einfach zu schnell ab, um ein möglichst vermarktungsfähiges Produkt zu erhalten? Und entwickelt sich dann wirklich noch eine spannende und überraschende Geschichte, wenn man wie jeder dieser einen Struktur folgt?
Natürlich darf man hierbei allerdings nicht vergessen, dass es genauso wie bei den Freigeistern oder Gärtnern ebenfalls solche unter den Architekten gibt, die anders nicht schreiben können. Die ein genaues Konstrukt brauchen, um ihr kreatives Ideen-Wirrwarr in eine Geschichte zu verpacken. Und da gibt es auch wunderschöne und spannende Häuser zu bestaunen.

Neben den Architekten gibt es laut Martin noch die Gärtner. Sie setzen ihre Grundidee wie einen Samen in die Erde und schauen dann, was daraus wird. Wie groß die Pflanze wird, wie viele Blätter sie haben wird und welche Farben ihre Blüten haben, das ist Teil des Prozesses, der sich erst während des Schreibens entfaltet. Damit bleibt der Geschichte selbst viel Raum, sich auf ihre Weise zu entfalten. Des Weiteren entsteht dadurch eine größere Offenheit für eventuelle Änderungen und neue Aspekte, die die Grundidee vielleicht sogar noch besser machen. Vielleicht hätte die Pflanze nie eine blaue Blüte getragen, sondern nur rote und gelbe? Allerdings muss ein Gärtner aufpassen, durch die ganze Offenheit nicht ins Schleudern zu geraten. Es kann viel durcheinandergeraten, wenn man nur seinen Instinkten folgt. Das erschwert natürlich auch die Überarbeitung extrem. Durch viele Änderungen und Wendungen muss viel angeglichen und im Nachhinein noch einmal überarbeitet werden. Manchen juckt es dann in den Fingern, geänderte Sachverhalte direkt zu überarbeiten. Manch andere sind durch die schiere Vielfalt schlichtweg überfordert.

Ich zähle mich selbst mittlerweile zu beiden Gruppen. Wie gesagt, kann ich keinen Roman von vorne bis Ende durchplotten, da ich diese kreative Freiheit, besser gesagt die Offenheit brauche (wobei ich nicht sage, dass Architekten unkreativ sind. Ich habe höchsten Respekt davor, eine komplette Handlung durchzuplanen). Allerdings merke ich deutlich die Schattenseiten, wenn ich einfach drauf losschreibe. Ich brauche ein Grundgerüst, das ich vor Augen habe, an dem ich mich entlanghangeln kann und zu dem ich immer wieder zurückgehen kann, wenn ich nicht weiß, wie es weitergeht. Seither widerstehe ich auch dem Drang, direkt in der ersten Fassung beim Schreiben zu überarbeiten. Das ist ein großer Vorteil. Trotzdem entdecke ich auf meiner Reise mit meinen Figuren neue Pfade, spiele Möglichkeiten aus, indem ich intuitiv mal Kapitel anders enden lasse. Dabei muss ich aber wahrscheinlich einfach in Kauf nehmen, dass sich mein Roman immer wieder in seinem Genre verändert.

Schubladen sind was für Socken, oder?

Mich bringt das eigentlich nur zu einer weiteren Frage: Ist unsere Einteilung in Genres und Subgenres einfach viel zu starr und deshalb unnötig?

Immer mehr und neue Kategorien sprießen aus dem Boden: Chicklit, Young Adult, New Adult, Romantasy, Gay Romance, Urban Fantasy, High Fantasy, Low Fantasy …
Dabei bedienen viele Romane gleich mehrere dieser sogenannten Subgenres, da diese spezifisch auf ein winziges Detail zielen. Es ist, als würde man Netflix durchstöbern und in jeder Liste taucht derselbe Film auf, weil er natürlicherweise mehrere Zielgruppen durch verschiedene Themen abdeckt.

Ich verfolgte unlängst eine Diskussion in einer Facebook-Gruppe, die sich damit befasste, ob diese ganzen kleinteiligen Genreeinteilungen überhaupt nötig sind und wer das braucht. Man war sich allgemein einig, dass die Bezeichnungen immer kleinteiliger werden, sich dadurch aber auch vieles überschneidet. Subgenres seien wichtig, wenn man mit den Begriffen nichts anfangen könne, sollte man sich eben schlaumachen. Ist das wirklich so einfach und mit solch einem Totschlagargument abgetan?

Und was liest du so?

Als Leser ist es wichtig, sich Genrebezeichnungen zu merken. Die Frage „Was (Welches Genre) liest du so?“ ist unter Literaturliebhabern gleich zu werten wie die Frage nach dem Beruf, die bei einem Alltagsgespräch immer zuerst gestellt wird. Befürworter der Subgenres sind sich da ganz einig: Es erleichtert auf jeden Fall das Leben, denn man will ja nur das lesen, was gefällt und nicht zufällig über etwas stolpern, das nicht der eigene „cup of tea“ ist. Hilfreich ist das natürlich schon und es erspart sicherlich eine Menge Zeit (und Zeit ist bekanntlich Geld). Aber wozu gibt es denn eigentlich Klappentexte? Verraten sie uns nicht, in welchem Subgenre wir uns höchstwahrscheinlich befinden? Braucht es eine genaue Genrebezeichnung, um zu bemerken, dass ich gerne Herr der Ringe lese und deshalb Twilight für mich nicht infrage kommt? Und die nächste Frage, die sich hier stellt: Verschließen wir uns damit nicht unnötig? Wo bleibt die Lebendigkeit, die Vielfältigkeit? Wir bewegen uns durch zu kleinteilige Genrebezeichnungen doch zwangsläufig in einer Blase und schließen anderes aufgrund von Vorurteilen aus. Wie wollten wir da behaupten, reflektierte und kritische Leser zu sein?

Schreiben in Kategorien

Für einen Schriftsteller ist die Genreeinteilung vor allem für das Marketing von Vorteil. Es ist einfacher, die Zielgruppe anzusprechen. Es ist kalkulierbarer, weil ich genau weiß, welche Fanbase ich haben werde, worauf ich genau achten muss und welche Marketingstrategien ziehen. Braucht es allerdings nicht auch hier eine gewisse Offenheit? Mögliche Leser, die sich außerhalb dieser Zielgruppe befinden, werden damit wohl nicht auf das Buch aufmerksam. Andere, die sich in ihrer eigenen Blase befinden, vergrault. Sollte man sich als Autor deshalb in den Subgenres auskennen? Ist das irgendwie sinnvoll oder auch möglich? Die Menge an Genres ist mittlerweile unüberschaubar und viele meiner Kollegen mussten in dieser Facebook-Diskussion die Bedeutung mancher Genres erfragen.

Auch beim Schreibprozess stellt sich die Frage nach dem Sinn. Sollte diese Kleinteiligkeit auf das Schreiben übertragen werden? Meist kann man am Schluss immer noch ein Subgenre mehr auf die Erzählung projizieren als geahnt. Kann man dann überhaupt genreorientiert schreiben? Teilweise zumindest schon. Und ich denke, dass es auch nichts Schlechtes ist, die grobe „alte“ Genreeinteilung zu beachten. Auf zu kleinteilige Genres sollte man sich meiner Meinung nach beim Schreiben aber nicht festlegen, da es das Schreiben sicherlich maßgeblich beeinflusst und man sich in Gefahr begibt, nur genrespezifische Klischees zu bedienen und nicht das volle Potenzial der Geschichte auszuschöpfen.

Fazit

Solch eine Diskussion zeigt, warum ich die Literatur so schön finde. Sie ist so lebendig, vielfältig und individuell. Jeder fährt mit einer anderen Strategie am besten und die Ergebnisse sind jedes Mal spannend. Ob man jetzt wie ein Architekt seine Geschichte baut oder als Gärtner die Natur walten lässt oder als Architekt inmitten des Grundgerüsts einen Strauch pflanzt. Allerdings ist das Genre, wenn man es zu sehr und zu kleinteilig betrachtet, doch etwas, das einen behindern oder beeinflussen kann. Ich werde mich da in Zukunft offener halten. Die Beschäftigung mit diesem Thema hat mich darauf gebracht, mich vor Fertigstellung nicht mehr auf ein Genre festzulegen, sondern lieber die erdachte Handlung kurz und knapp zu erzählen. Denn das steht eigentlich im Vordergrund. Die Schubladen, in die mein Buch dann gepackt wird, werden später aufgemacht.

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